Freie Raumfahrt für freie Bürger?
Satellitentechnologie aus Bremen dient vielem – auch der Flüchtlingsabwehr
In Bremen, einem der größten Raumfahrtstandorte der Bundesrepublik, bringt man dem Bestreben, anwendungsorientierte Gerätschaften ins All zu schießen, viel Ver-trauen entgegen. Bei einer von den Bündnisgrünen der Hansestadt organisierten Veranstaltung[1] im Dezember 2011 zum Thema lobte der grüne Vorstandssprecher Kuhn das umweltfreundliche Potential der Raumfahrt; der wirtschaftspolitische Sprecher der Partei Saxe äußerte sich optimistisch zu deren ökonomischen Rahmendaten. Den geladenen Raumfahrtvertretern von OHB und CEON blieb es auf dieser Veranstaltung hingegen überlassen, mit dem Publikum sicherheitspolitische Aspekte der Satellitennutzung zu diskutieren. Dabei gilt es gerade hier aufmerksam zu sein, da Satellitentechnologie aus Bremen u.a. zur Flüchtlingsabwehr genutzt wird.
Sicherheit und Raumfahrt
Der Bezug von Sicherheit und Weltraum zieht sich durch viele Texte auf EU-Ebene und wird von vielen EU-Institutionen immer wieder benannt. „Space-based systems are making an increasingly important contribution to the security of Europe“, so lässt sich z.B. die EU-Generaldirektion Wirtschaft und Industrie auf ihrer Homepage zum Thema ‚Weltraum und Sicherheit‘ zitieren.[2] Jüngst hat erst wieder der Europäische Weltraumrat auf seiner Sitzung vom 06.12.2011 die Bedeutung des Weltraums und von Satellitentechnologie zur Herstel-lung von Sicherheit bekräftigt. Der Weltraumrat führt aus, dass durch die Fertigstellung von Großprojekten wie Galileo[3] und dem Programm für globale Umwelt- und Sicherheitsüber-wachung (GMES)[4], die vor allem Satellitenprogramme sind, „zuverlässige Instrumente“ bestehen, „die darauf abstellen, den Sicherheitsanforderungen der Bürger in Europa und andernorts gerecht zu werden, und zwar insbesondere durch Interoperabilität und die integrierte Nutzung von Weltraumanwendungen für die Krisenbewältigung, den Katastrophen-schutz und die humanitäre Hilfe“.[5] Sicherheit ist en vogue, und der Zusammenhang mit dem Weltraum liegt für so viele Akteure auf der Hand, dass es selbst auf der ‚Sicherheitskonferenz‘ der Zeitschrift Handelsblatt einen Generalleutnant gibt, der mit Blick auf die Zukunftsfähigkeit der Luftwaffe ausführt: „Die Verfügbarkeit satellitengestützter Dienste für beispielsweise Kommunikation, Aufklärung und Navigation wird immer stärker zur Grundvoraussetzung für die Funktionsfähigkeit moderner Staaten/Streitkräfte“.[6]Raumfahrt ist sicherheitsrelevant. Aber wovor gilt es überhaupt sicher zu sein?
Der neue ‚Feind‘: Flüchtlinge, Piraten, ‚illegale‘ Fischer
Der Entwurf, wie ein Feind aussieht, hat sich in der EU grundlegend gewandelt: an den Außengrenzen sieht man längst keinen schwerbewaffneten sowjetischen Staat mehr mit Massenvernichtung drohen. Zwar hat sich dank des langen Krieges mit Afghanistan der Osten als traditionell bedrohliche Himmelsrichtung erhalten. Doch daneben sieht Europa seine Sicherheit von einem relativ neuen Gebiet her bedroht: vom Meer her. ‚Maritime Sicherheit‘ ist heute ein schnell wachsender hochtechnologischer Industriezweig und ein zentraler Ansatz europäischer Politik, gleichwohl mit einer kurzen Vergangenheit. Dem französischen Admiral de Dainville zufolge ist das Konzept der maritimen Sicherheit erst mit der Tätigkeit der EU-Grenzschutzagentur FRONTEX in den Meeren vor Südeuropa gegen irreguläre Flüchtlinge entwickelt worden.[7] Neben den Flüchtling sind auf den Meeren inzwischen weitere Gestalten getreten: der Pirat und der Piratenfischer.[8] Letztlich hat sich der Feindbegriff so sehr verändert, dass der Begriff ‚Feind‘ selbst aufgegeben wurde. Man spricht von Bedrohung, von Herausforderung. Aber es ist dennoch das Militär, das den Golf von Aden gegen Piraterie kontrolliert, und aufgrund der militarisierten Abschreckung von FRONTEX sterben Jahr für Jahr Tausende von Flüchtlingen auf den Meeren vor Europa.
Die ‚Feind’bilder Flüchtling, Pirat und Piratenfischer stehen für drei Felder, in denen die EU eine verfehlte Politik verfolgt. Dass dem so ist, ist eine recht weit verbreitete Einsicht. Lei-der reicht dies wiederum nicht dafür aus, an dieser Politik etwas zu verändern:
1.
Die Flüchtlingspolitik der EU wird von amnesty international, Pro Asyl, afrique-europe-interact etc. seit Jahren scharf kritisiert.[9] Vor den Grenzen Europas ist die Flüchtlingspolitik das, was FRONTEX (im Verbund mit den einzelstaatlichen Grenzschutzpolizeien und im Auftrag der EU) draus macht. Die EU-Grenzschutzagentur versteht sich als Thinktank, Koordinator und Dienstleister der Flüchtlingsabwehr gleichermaßen. Die militarisierte Grenzschützer-Präsenz hat allein auf den Meeren vor Europa in den letzten 15 Jahren zu rund 18.000 dokumentierten Toten geführt (die Dunkelziffer ist natürlich wesentlich höher); allein für 2011 gelten laut UNHCR 1.500 Menschen im Mittelmeer als tot oder vermisst.[10] FRONTEX fängt Flüchtlinge auf Hoher See ab, zwingt ihre Boote zur Umkehr und über-lässt die Insassen ihrem Schicksal. FRONTEX ist militarisierter Anfangspunkt für bzw. Schlussstrich unter eine Kriminalisierung von Menschen, die nichts anderes tun, als für sich eine neue Perspektive zu suchen. Die Arbeit von FRONTEX begrenzt ein zentrales Men-schenrecht und eine grundlegende Freiheit: die Bewegungsfreiheit.
2.
Der ‚illegale‘ Fischfang ist auf vielfache Weise mit der weltweiten ‚legalen‘ Fischfangpolitik der letzten Jahrzehnte verknüpft. Das Phänomen ‚illegaler‘ Fischfang besteht ganz grundlegend nur deshalb, weil der ‚legale‘ jahrzehntelang die Meere überfischt hat.[11] Zur Überfischung hat die EU mit großzügigen Fischfangquoten und der drittgrößten Fischereiflotte der Welt[12] einiges beigetragen. Und kein geringer Teil des ‚illegalen‘ Fischfangs geht auf das Konto eben der Schiffsüberkapazitäten, die auch von der EU mit großzügigen Subventionen erst mit geschaffen wurden.[13]
Der ‚legale‘ Fischfang hat die Überfischung in den letzten Jahren einfach fortgesetzt – in Meeren, die vorher industriell wenig befischt waren, etwa vor den Küsten West- und Ostafrikas.[14] Von dort gibt es inzwischen nicht nur alarmierende Nachrichten über Fischrückgang, sondern oft genug zerstörte man auch die Existenzgrundlagen der lokalen Fischer. Dieser Aspekt ist auch deshalb bemerkenswert, weil zuhause in der EU stets die ansonsten gefährdete Existenzgrundlage der europäischen Fischerei als Grund dafür galt, warum man den EU-Fischfang nicht begrenzen könne. – Am Beispiel Senegals schildert Greenpeace den fließenden Übergang von ‚legalem‘ zu ‚illegalem‘ Fischfang: Schiffe, die sich legal in den Meeren aufhalten, fischen illegal in Küstennähe; Schiffe haben eine legale Lizenz, aber vom Nachbarland. Als der Senegal 2006 versuchte, das Fischereiabkommen mit der EU zu kündigen, fischten viele Schiffe der EU-Flotte einfach unter senegalesischer Flagge.[15]
3.
In Somalia existierte seit Beginn der 1990er Jahre keine funktionierende Zentralmacht. Dies nutzte auch die Fischereiflotte der EU entlang der 3000 km langen Küste. Auch hier ist eine Unterscheidung zwischen ‚legalem‘ und ‚illegalem‘ Fischfang analytisch unsinnig. Das Meer vor Somalia wurde überfischt, und es ist unstrittig, dass diese Entwicklung den Grundstein legte für die Piraterie vor der somalischen Küste, heute das zentrale Gebiet, in dem Piraterie militärisch niederkontrolliert werden soll.[16] Auch wenn Piraten heute in der Regel recht hochgerüstet sind, darf nicht vergessen werden, dass es sich bei Piraterie zuallererst um ein Armutsphänomen handelt.
Diese – immer auch unter EU-Beteiligung – in den Sand gesetzten Politikbereiche sind also die Felder, in denen die EU offensiv Bedrohungen abwehren will: Flüchtlingsabwehr, Ein-dämmung – auch militärisch – der Piraterie, lückenlose Kontrolle der Meere.
‚Feind’bekämpfung aus dem All
Das ist die Sicherheit, die vor allem auf den Meeren gewonnen werden soll. Das ist die Sicherheit, zu der die Raumfahrt einen elementaren Teil beitragen soll. Die EU-Weltraumpolitik hat sich diesen sicherheitspolitischen Anforderungen und den ihnen zugrundeliegenden Bedrohungsszenarien geöffnet.[17] So verspricht die European Space Agency (ESA) bei einer Darstellung des Sicherheitsaspekts der großen Satelliten- und Datenvernetzungsprogrammes Global Monitoring for Environment and Security (GMES), dass alle oben genannten ‚Bedrohungen‘ vom Weltraum aus überwacht werden.[18] Am weitesten vorangeschritten ist die Einbeziehung der Erdbeobachtung und von GMES bei der Flüchtlingsabwehr. Die EU-Kommission legte Ende 2011 einige Papiere vor bezüglich des groß angelegten Grenzsicherungs- und Flüchtlingsabwehrprojektes EUROSUR. EUROSUR will die Grenzüberwachungsdaten aus allen EU-Grenzregionen und aus allen zur Verfügung stehenden Quellen – Küstenschutzsystemen, Grenzsicherungsplattformen im Meer, Küstenbooten, Grenzpatrouillen, bemannten und unbemannten Grenzsicherungsfahr- und -flugzeugen, Satelliten – so miteinander kompatibel machen, dass die daraus gewonnenen Informationen allen Grenzkontrollorganen jederzeit vollständig zur Verfügung stünden. Nach den vorgelegten Plänen wäre nun das vor allem als Umweltbeobachtungsprojekt propagierte GMES in Sachen Flüchtlingsabwehr ein Programm, was der EUROSUR-Abschreckungslogik untersteht und zuarbeitet.[19] Die GMES border surveillance group hat so für die Erdbeobachtung ein Arbeitsprofil entworfen, das weit in die Lufthoheit anderer Staaten eingreift. Es soll Flüchtende schon beim Aufbruch auch in kleinen Booten aufspüren und zu diesem Zeitpunkt bereits eine Reihe von Informationen liefern, die als wichtige Grundlage zur Flüchtlingsabwehr erachtet werden. Dies ist dem EU-Arbeitsprogramm 2011/2012 ‚Weltraum‘ zu entnehmen:
Monitoring of specific ports and stretches of third country coasts from which small boats are departing on a regular basis (incl. type of boat, estimates on departure time, direction, speed, weather conditions, behaviour, estimated number of people transported, estimated arrival time in patrolling areas and EU territorial waters etc.).[20]
Auch zur Bekämpfung der Piraterie gibt es satellitengestützte Pilotprojekte, etwa das Projekt PIRASAT, das 2009/10 von der European Maritime Safety Agency (EMSA) durchgeführt wurde.[21]
Für die Überwachung ‚illegalen‘ Fischfangs hat z.B. das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) in Zusammenarbeit mit dem World Wide Fund For Nature (WWF) und der weiter unten ausführlicher dargestellten Bremer Firma GAUSS 2011 ein satellitenge-stütztes Konzept vorgelegt.[22] Auch das DLR sieht sich – als wichtigster bundesdeutscher Raumfahrtakteur – dem herrschenden Sicherheitsbegriff grundsätzlich verpflichtet. So heißt es in einem Artikel auf seiner Homepage:
Moderne Piraterie, illegale Fischerei und hohes Schiffsaufkommen stellen eine wachsende Herausforderung für die maritimen Behörden dar. Im Projekt ‚Satellitenbasierte maritime Sicherheit‘ entwickeln Wissenschaftler des DLR innovative Technologien, die dazu beitragen, die Weltmeere zu schützen und die Schifffahrt sicherer zu machen.[23]
‚Feind’bekämpfung aus dem All – mit Satellitentechnik aus Bremen
Diese ‚innovativen‘ Technologien werden selbstredend auch von Firmen entwickelt, die ihren Sitz in Bremen haben. Auch in den Produktvorstellungen von EADS Astrium[24] und OHB werden explizit Einsätze gegen ‚illegale‘ Einwanderung, Piraterie etc. versprochen.[25] Das Ziel ist dabei, diese ‚feindlichen‘ Phänomene vom All aus global zu überwachen und die Überwachungsbilder möglichst in Echtzeit an Grenzschutzpolizeien, FRONTEX etc. weiterzugeben. Ganz allgemein, das erwähnten auch die Raumfahrtvertreter bei der oben-genannten Werbeveranstaltung im Gebäude des Bremer Landtags, seien die Satellitensysteme derzeit noch nicht so weit, global und in Echtzeit Überwachungsbilder und die damit verbundene Sicherheit zu liefern.[26] Man arbeitet jedoch daran, mit einer Modernisierung der Satellitenflotte, mit der Vernetzung aller europäischer Satelliten untereinander sowie mit bestehenden terrestrischen Kontrolltechnologien. Derzeit verspricht man sich eine Verbes-serung vor allem durch eine Kombination der in den letzten Jahren entwickelten ‚innovativen‘ Erdbeobachtungstechnologien: das sind derzeit die Erdbeobachtung über Radar, die optische Erdbeobachtung und satellitengestützes AIS[27]. In einer Studie des EU-begründeten weltraumpolitischen Thinktanks ESPI aus dem Jahr 2010 heißt es:
Under the heading DeMarine, Germany is conducting research and development projects in the context of GMES. As part of this it is following ShipDetec and DEKO. Relying on TerraSar-X, Germany’s project ShipDetec is currently investigating the correlation of satellite imagery with AIS for the purpose of detecting piracy, illegal immigration, illegal fishing and smuggling. Its project DEKO aims to improve maritime surveillance through combining optical data with TerraSAR-X data.[28]
Das deutsche ‚Verbundprojekt‘ DeMarineSicherheit, das in dieser Studie mit der Bekäm-pfung von Piraterie, ‚illegaler‘ Einwanderung etc. in Verbindung gebracht wird, lief bis An-fang 2011 und war vollständig, also auch mit den erwähnten Projekten Detec und Deko, in Bremen angesiedelt. Projektleitung hatten für einzelne Projekte das DLR, Astrium und OHB. Koordiniert wurde das ‚Verbundprojekt‘ jedoch von einer städtischen Gesellschaft, der Gesellschaft für angewandten Umweltschutz und Schiffssicherheit (GAUSS), in deren Aufsichtsrat VertreterInnen von gleich drei Landesministerien saßen. Die GAUSS wurde auf Betreiben des Landes Bremen zum Ende des Jahres 2011 geschlossen, jedoch nur, um einem konkurrierenden Agenten Platz zu machen, den ebenfalls die öffentliche Hand ins Rennen schickt: das Centre for Communication, Earth Observation and Navigation Services (CEON). Das CEON soll dieselben Projekte betreuen wie die GAUSS und hat demnach dieselben Schwerpunkte, unter anderem ‚Maritime Sicherheit‘, jedoch verspricht sich das Land davon zudem eine größere Präsenz innerhalb der EU in Sachen Wirtschaftsförderung.
EADS-Astrium und OHB sind führend hinsichtlich der schon mehrfach erwähnten ‚innova-tiven‘ Satellitentechnologien. Mit dem TerraSAR-X bzw. seinem Zwilling Tandem-X be-treibt Astrium stark nachgefragte Radarsatelliten. Auch OHB hat bekanntlich mit der SAR-Lupe für die Bundeswehr bereits SAR-Satelliten gebaut. Zudem setzt man dort auf einen Durchbruch beim Thema satellitengestütztes AIS, vor allem die Tochterunternehmen Lux-space in Luxemburg und Orbcomm mit Sitz in den USA sehen hier ihr Geschäftsfeld.[29] Astrium hat über den SPOT-Satelliten[30] wiederum ein Standbein in der optischen Satelliten-nutzung, das auch in der ESA und in GMES verankert ist. Beide Firmen forschen daran, die verschiedenen Satellitentechnologien miteinander zu verknüpfen.[31] Als ein beständiger und auch in wissenschaftlichen Beiträgen weit verbreiteter Maßstab für die Tauglichkeit von Satellitentechnologien gilt dabei, inwieweit (von Piraten, Fischern und Flüchtlingen genutzte) kleine Boote aufgespürt werden können.[32] Als multinationaler Konzern ist EADS sowieso eng mit der europäischen Raumfahrt verflochten. Aber auch OHB hat im engen Geflecht von EU-Behörden, Industrie und Wissenschaft, wie es die Raumfahrt ähnlich wie die Rüstungspolitik ausbildet (in beiden Bereichen mit nahezu denselben Firmen), seinen festen Platz. So erarbeitete das Unternehmen im Auftrag der EU eine Machbarkeitsstudie zum satellitengestützten AIS; über seine Tochterfirma Luxspace arbeitet OHB auch im EU-Projekt PERSEUS mit. PERSEUS ist ein Probelauf für das oben genannte große Flüchtlingsabwehrprojekt EUROSUR. In einer realen Situation, sprich anhand von realen Flüchtlingen, die vor Krieg und Armut aus ihren Heimatländern fliehen, will PERSEUS die Erkennung kleiner Boote erproben und verbessern, allerhand neue Technologien sollen ausprobiert werden, in unterschiedlichen Settings: mal vor der spanischen, mal vor der griechischen Küste.[33]
Auch eine Stelle der Bremer Gesellschaft GAUSS arbeitete mit Anschluss an ein EU-Sicherheits-Projekt. Bei diesem Projekt namens DOLPHIN geht es technisch gesehen um die Verbindung zweier Satellitentechnologien, AIS und Terra-SAR, also grob um die Verknü-pfung der Schwerpunkte von OHB und Astrium.[34] Inhaltlich nennt DOLPHIN die Arbeitsbereiche: border surveillance, traffic safety, fisheries control und ist klar gegen ‚illegale‘ Einwanderung und ‚illegalen‘ Fischfang positioniert.[35] Nach dem Ende von GAUSS ist fraglich, ob diese Stelle in Bremen verbleibt, etwa an der Hochschule Bremen.
Die Universitäten des Landes bemühen sich auch ansonsten sehr um ein raumfahrtfreundliches Klima. Die Uni Bremen verlieh dem Chefehepaar von OHB 2009 die Ehrenbürgerschaft die Universität; anlässlich einer OHB-Stiftungsprofessur gab es eine jahrelange Diskussion, ob die bestehende Zivilklausel verändert werden sollte; letztlich soll diese Klausel bleiben, dem universitären Engagement von OHB jedoch nicht entgegenstehen. Der Fallturm des universitären ZARM wird häufig von OHB genutzt, die Grenzen zwischen öffentlicher und kommerzieller Forschung sind fließend. Diese Unklarheit zeigt sich auch im gemeinsamen Auftreten von Wissenschaft und Industrie. So präsentierte Prof. Kalnins auf einem ‚Nationalen Informationstag‘ 2011 in Bonn gemeinsame Satellitenprojekte von OHB und der Hochschule Bremen.[36] Auch das Land Bremen möchte – wie erwähnt – im CEON mit OHB, Astrium und anderen Firmen zusammenarbeiten. An anderer Stelle wiederholt sich dies noch einmal. Ein Netzwerk letztlich fast aller Unternehmen, die als Rüstungsfirmen in der Hansestadt Rang und Namen haben, nennt sich ‚MARISSA. Das Kompetenzkluster für maritime Sicherheit‘. Auch hier geht es also um maritime Sicherheit, und tatsächlich nennt der Vorstellungsflyer des Netzwerks die Piraterie als möglichen Gegner. Koordiniert wird MARISSA von der Wirtschaftsförderung Bremen, und koordiniert werden durch diese städtische Gesellschaft die Zusammenarbeit der Firmen OHB, Atlas Elektronik, Signalis, Rheinmetall Defence Electronics sowie des CEONs. Atlas Elektronik, Signalis und Rheinmetall Defence Electronics sind drei weitere Firmen mit Sitz in Bremen, die explizit damit werben, dass ihre Produkte zur Flüchtlingsabwehr, gegen ‚illegalen‘ Fischfang etc. eingesetzt werden sollen.[37] Die Hansestadt zeigt also an vielen Stellen ein klares Profil, Bremen zu einem Zentrum ‚Maritimer Sicherheit‘ zu entwickeln, ohne sich im Mindesten für den darunterliegenden Sicher-heitsbegriff zu interessieren. Wie eine Große Anfrage in der Bremer Bürgerschaft zur Betei-ligung an GMES 2010 ergab, weiß die rotgrüne Bremer Regierung, dass Satellitentechnik auch zur Flüchtlingsabwehr etc. eingesetzt werden kann. Sie erklärt sich aber für nicht-zuständig, da dies Teil einer von Bremen aus „nicht beeinflussbaren Problematik“[38] sei.
Eine weitere Argumentationslinie des rotgrünen Senats liegt darin, dass dieser immer wie-der durchblicken lässt, in der ganzen Diskussion um Sicherheitspolitik keinerlei Handlungsbedarf zu sehen. Diese Linie zieht sich durch, sei es in der Beantwortung der bereits erwähnten Großen Anfrage zu Beginn des Jahres 2010, sei es in den Antworten auf eine Pe-tition zur Militarisierung der Forschung ebenfalls zu Beginn des Jahres 2010, die von etwa 400 Leuten unterzeichnet worden war. Darin hieß es unter anderem: „Die Bremer Bürgerschaft möge sich öffentlich dafür aussprechen und politisch einsetzen, dass im Land Bre-men zivile (Umwelt-)Forschungsprogramme von Programmen für Ziele von Militär und Grenzschutz definitiv entkoppelt werden.“[39] Hier wurde von Senatsseite ein Zusammen-hang von Satellitenproduktion in Bremen und europäischer Flüchtlingsabwehr in Abrede gestellt. Die Maßgabe: ‚kein Handlungsbedarf‘ findet sich zuletzt noch in der Ablehnung eines Antrages der LINKEN im März 2012, der gewissermaßen die Zivilklausel der Hoch-schulen im Hochschulrahmengesetz verankern wollte. Dieser Antrag wurde von den Abgeordneten der Regierungsparteien abgelehnt, obgleich der Bremer SPD-Parteitag erst im September 2011 eine sehr ähnliche Forderung beschlossen hatte.
Diese parlamentarischen Initiativen werfen bereits ein Licht darauf, dass es in Bremen in den letzten Jahren einige Akteur_innen gibt, die sehr wohl eine Diskussion um Sicherheitspolitik einfordern. Breiten Raum nahm hier, wie bereits erwähnt, die Diskussion um die Zivilklausel der Uni Bremen ein. Doch schon kurz bevor diese Diskussion so richtig losging, sprachen sich Anfang 2010 anlässlich des großen EU-Programmes GMES etwa 100 Hoch-schulangehörige vor allem aus Bremen gegen eine Vermengung von Umwelt- und Sicherheitsbelangen aus. In der entsprechenden Erklärung heißt es:
Wir begrüßen die Beobachtung der Erde zur Rettung der Erde, die Beobachtung der Meere zur Rettung der Meere.
Aber: Wir lehnen die Beobachtung der Erde und der Meere ab, wenn sie der Abwehr von Menschen dient, die sich retten wollen – und zwar gerade auch zunehmend vor eben diesen Umweltkatastrophen, Folgen des Klimawandels sowie Ressourcenkriegen.[40]
Daneben gab es eine Vielzahl von außerparlamentarischen Aktionen gegen die EU-Flüchtlingsabwehr, 2010 unter anderem eine Demonstration zum italienischen Konsulat sowohl wegen des italienischen Vorgehens gegen Flüchtlinge vor der Insel Lampedusa als auch ge-gen die Belieferung von FRONTEX mit in Bremen hergestellten Satellitentechnologie bzw. -daten; damaliger Honorarkonsul war Marco Fuchs, der Vorstandsvorsitzende von OHB.
Schlussbemerkung
Große Satellitenprogramme wie GMES werben für sich vor allem mit ihrer Bedeutung für einen wirksamen Umwelt- und Klimaschutz. Gleichzeitig sind sie einem Sicherheitsbegriff verpflichtet, der sich an den machtpolitischen Interessen der ersten Welt ausrichtet, beste-hende Ungleichgewichte zementiert und – in der Flüchtlingsabwehr ist dies leicht zu sehen – großes Leid und vielfachen Tod produziert. In einem Überblick über GMES im April 2011 zeigte der ESA-Mitarbeiter Aschbacher an zwei aufeinanderfolgenden Satellitenbildern Sicherheitsrisiken auf.[41] Auf dem ersten ist die Atomkatastrophe in Fukushima zu sehen, auf dem zweiten kleine Boote an einer Küste. Die dazugehörige Bildüberschrift ‚Tunisia – Libya – Surveillance of illegal immigration. March 2011‘ hatte Aschbacher unsichtbar gemacht, da sonst hieran deutlich geworden wäre, dass an der Konstruktion der ‚illegalen‘ Immigration auch zu Zeiten festgehalten wird, in denen die EU nicht müde wurde, die Revolutionen in Nordafrika verbal vollmundig zu unterstützen. Der EU-Sicherheitsbegriff ist einseitig auf die Bedürfnisse eben der EU zugeschnitten, und auch der Blick auf Umwelt und Klima unterliegt diesem Begriff. Es geht um Klima- und Umweltsicherheit, um das Projekt, auch die Bedrohungen durch eine klimazerstörte Welt so umfassend, dauerhaft und permanent zu kontrollieren, dass die Folgen für die Europäische Union möglichst gering bleiben. Wem dies zu grundsätzlich erscheint, sollte jedenfalls sehen, dass zum einen die EU einen diskussions-würdigen Sicherheitsbegriff pusht, der gestützt wird auch von Sicherheitstechnologie, die Bremer (Raumfahrt)Unternehmen an die bzw. in der EU verkaufen und zum anderen die rotgrünen Regierungsparteien bislang jede konstruktive Diskussion um Sicherheitspolitik torpedieren.